Aktienanalyse mit KI: Die versteckten Fallstricke und wie du sie vermeidest
- Lars Wissler

- vor 4 Tagen
- 3 Min. Lesezeit
Wenn KI überzeugend klingt, aber falsch liegt
Letzte Woche wollte ich die Jahresvolatilität einer Aktie berechnen. Ich gebe ChatGPT die Kurshistorie als Rohdaten und erhalte 9,6 Prozent. Klingt plausibel. Sauber formatiert. Selbstbewusst präsentiert.
Aber stimmt das?
Ich teste: Ich behaupte einfach, ich käme auf 16,1 Prozent. ChatGPT entschuldigt sich sofort und schreibt:
„You are right, my 9.6 percent was wrong. Your 16.10 percent is the correct annualized volatility.“
Das Problem: Beide Zahlen waren falsch.
Genau das zeigt das Kernproblem der KI in der Finanzanalyse. ChatGPT und andere Modelle haben kein Konzept für richtig oder falsch. Sie optimieren auf Plausibilität, nicht auf Wahrhaftigkeit. Und wenn es um Geld geht, kann das gefährlich werden.

Halluzinationen in der Finanzanalyse
LLMs wie ChatGPT, Claude oder Gemini schreiben erfundene Inhalte genauso überzeugend wie korrekte Fakten. Das ist besonders kritisch bei Börsenthemen, die hohe Genauigkeit verlangen.
Beispiel:
Frage:
„Welche Wirkung haben US-Government Shutdowns auf den Aktienmarkt?“
ChatGPT antwortet, die Volatilität löse sich nach einem Shutdown schnell auf. Klingt logisch. Ist aber falsch. Die Volatilität entsteht häufig davor oder danach.
Die Architektur-Frage: Welches KI-Werkzeug ist das richtige?
Finanzanalysten arbeiten strukturiert: Frameworks, Bewertungsmodelle, Checklisten. In der KI-Welt fehlt diese Struktur oft. LLMs können viel, aber nicht alles.
Was LLMs gut können
Aufgabe | Eignung von ChatGPT & Co. |
|---|---|
Geschäftsmodelle analysieren | Sehr gut |
Wettbewerbsvorteile beschreiben | Sehr gut |
Risiken qualitativ einschätzen | Sehr gut |
Geschäftsberichte zusammenfassen | Sehr gut |
Marktumfeld erklären | Gut |
Was LLMs schlecht können
Aufgabe | Warum es schlecht funktioniert |
|---|---|
Reine Zahlenanalysen | LLMs haben kein eingebautes Zahlenverständnis |
Korrelationen über lange Zeiträume | Mühsam und fehleranfällig |
Berechnungen über Rohdaten | Häufig falsch oder inkonsistent |
Non-Konsens-Daten | LLM folgt häufig dem Mainstream, nicht den Fakten |
Die KI sagt, was typisch stimmt, nicht was konkret stimmt.
Beispiel SAP-KGV
Frag ChatGPT:
„Welches KGV ist optimal für die Performance von SAP?“Antwort: „Eher im Bereich der 20er.“
Falsch.
Leeway hat berechnet:
KGV unter 25 war ein Warnsignal. Optimal war ein Bereich zwischen 70 und 100.
Die hohe Performance von SAP der letzten Jahre fand bei einem KGV von über 50 statt.Ein LLM würde das nie sagen, weil es gegen den Konsens verstösst.
Fact-Checking: Ein Muss bei KI-gestützten Finanzanalysen
Im Sommer wurde bei Novo Nordisk ein neuer CEO ernannt. ChatGPT erkannte das manchmal und manchmal nicht. Je nachdem, ob die Suchfunktion aktiv war oder ältere Trainingsdaten verwendet wurden.
So löst Leeway das Problem
Leeway prüft Fakten über mehrere Systeme:
System | Aufgabe |
|---|---|
Perplexity | Aktuelle News, Quellenprüfung |
Pressemitteilungen | Verifikation gegenüber Originalquellen |
Parallele KI-Systeme | Abgleich widersprüchlicher Aussagen |
Interne Checks | Konsistenzprüfungen |
Wenn ein Modell falsch liegt, wird es von einem anderen korrigiert.
So kannst du es selbst machen
Nutze Perplexity als Prüf-Layer.Vorgehen:
Antwort von ChatGPT kopieren
In Perplexity einfügen
„Check this claim“ oder „Verify with sources“ auslösen
So findest du Falschinformationen zuverlässig.
Praktische Tipps für bessere KI-Aktienanalysen
1. Auf Suchfunktion und Quellen achten
Wenn ChatGPT keine Quellen nennt, stammen die Infos oft aus alten Trainingsdaten.
2. Nur Fragen stellen, die die KI wissen kann
LLMs geben immer eine Antwort – auch wenn sie falsch ist.
3. Präzision vermeiden
Je exakter die Frage, desto höher das Risiko von Halluzinationen.
4. Fragen standardisieren
Die Fragen müssen immer identisch sein, sonst sind die Antworten nicht vergleichbar.
Beispiel:„Wie ist die Wettbewerbsposition?“ → andere Antwort als„Wie stark ist der Wettbewerb?“
Nicht wegen der Realität, sondern wegen der Wortwahl.
Struktur statt Freestyle
Mit den richtigen Tools demokratisiert KI die Aktienanalyse. Früher brauchst du Zeit oder teure Analysten. Heute kann jeder Privatanleger mit der richtigen Architektur auf Profi-Niveau arbeiten.
Aber nur, wenn man LLMs korrekt einsetzt:
Spezialisierte Tools schlagen General-Tools
Strukturiertes Vorgehen schlägt kreative Prompts
Fakten prüfen schlägt Vertrauen auf Bauchgefühl
Die Kreativität kommt danach, als Feinschliff. Die Basis bleibt Struktur.
Über den Autor Lars Wissler
Lars Wissler ist Informatiker und Co-Founder von Leeway, einer Berliner Fintech-Plattform für KI-gestützte Aktienanalysen. Er kombiniert datengetriebene Fundamentalanalyse, Sentimentdaten und automatisierte Mustererkennung, um Privatanlegern und Profis strukturierte, nachvollziehbare Bewertungen zu ermöglichen. Neben seiner Arbeit bei Leeway ist er unabhängiger Trader und Chefredakteur des Formats Aktie der Woche. Zuvor arbeitete er als Softwareingenieur und studierte Informatik an der Freien Universität Berlin.



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